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Sonntag, 13. November 2011

"Jule" Teil 2


„Oh man.“ Kissen über den Kopf.
Nach einer Ewigkeit erschien ein zerzaustes, mürrisches Gesicht in der Küche. Aber diese Ewigkeit hatte Susanne längst mit eingeplant. Sie plante immer alles ein. Sie war auf alle Eventualitäten vorbereitet – auf fast alle. Diese Nächte musste sie noch in den Griff bekommen. Irgendwelche Pillen werden schon helfen.
„Oh Mama, du rauchst schon wieder wie ein Schlot!“
Ja, da war noch etwas, was Susanne in den Griff bekommen musste. Auch Peter beschwerte sich über ihren Atem. Aber der Dunst war eine ihrer letzten Bastionen. Das schaffte sie auch noch. Sie schaffte alles!
  Jule an der Schule absetzen und dann zu diesem Psycho-Menschen. Ein komischer Kauz war das. Wie konnte man nur davon leben, anderen im Seelenquark herum zu rühren!? Bestimmt war das so ein verklemmter Voyeur, der sich nur zu fein war hinter einem Busch zu lauern. Außer dem war er ein Mann. Warum hatte man ihr nicht eine Frau gegeben? Aber im Krankenhaus sagten sie, dass Susanne froh sein konnte überhaupt so kurzfristig einen Therapeuten zu bekommen.
„Guten Tag Frau Liebig.“
Sein breites Grinsen erinnerte Susanne immer an einen Frosch. Wenn sie sich, auf dem weichen Sessel, zu sehr in die Enge getrieben fühlte, rettete sie sich manchmal in die Vorstellung, wie er durch das Zimmer hüpfte.
„Beim letzten Mal waren wir bei ihrem Verhältnis zur Mutter. Wollen wir da weiter machen?“
Von wollen konnte ja wohl keine Rede sein. Trotzdem hörte sich Susanne sagen:
„Ja.“
Sie sagte immer ja. Auch wenn sie nein dachte. Was nun folgte war auch so eine Art Ritual. Der Jäger versuchte sein Wild zu erlegen. Dazu musste er es irgendwie in die Enge treiben. Bisher konnte Susanne ihm fast immer geschickt ausweichen. Sie hatte in ihrem Leben gelernt, wie man Haken schlägt, Halbwahrheiten oder Lügen zu Wahrheiten umfunktioniert und wenn es ganz eng wird, einfach abschaltet. Irgendwie hatte das immer funktioniert. In letzter Zeit wurde der Kreis um sie allerdings immer kleiner. Ihr war, als ob da sich da etwas in ihr, mit dem Mann gegenüber verbündete. Und so entstand ein Zweifronten-Krieg. Das wurde zunehmend gefährlicher.
Auch diesmal rettete sie wieder sein Blick auf die Uhr.
„Tja, unsere Zeit ist fast um.“
Erleichterung.
„Na dann bis zum nächsten Mal. Alles Gute.“
Im Treppenhaus konnte Susanne langsam ihren Herzschlag beruhigen. Wieder eine Woche weiter.
„Suse, auch das schaffst du!“
  Nun musste sie nur noch das Wochenende überstehen. Sie waren zum Geburtstag bei Ihrem Vater eingeladen. Eigentlich nicht wirklich eingeladen, aber das war auch so ein ungeschriebenes Gesetz. Die „Familie“ traf sich zu solchen Anlässen. Und niemand durfte fehlen. Vielleicht fiel ihr ja noch eine passende Ausrede ein. Eine für ihre Eltern fiel ihr schon ein. Aber eine, die die kleine Susanne in ihr akzeptierte, war schon schwerer zu finden. Eine merkwürdige Mischung aus Hass, Ekel, Liebe, Schuld und sich irgendwie verantwortlich fühlen. Wofür, wusste sie nicht wirklich. Es war halt so.
Bis dahin waren es aber noch zwei Tage, und die wollte Susanne in vollen Zügen genießen.
Jetzt war da erst mal der Haushalt. Ihre Beiden hatten die Wohnung mehr als ein Schlachtfeld hinterlassen. Aber das akzeptierte Susanne. Immerhin ging Peter arbeiten und Jule zur Schule. Da konnten sie sich nicht um alles kümmern. Und außerdem war sie ja dafür da. So wie ihre Mutter dafür da war und tausende Mütter auf der Welt dafür da waren und sind.

2 Kommentare:

  1. Keine leichte Kost, aber sehr schön geschrieben. Das Buch werde ich auf jeden Fall lesen.

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  2. Ich bin auch schon sehr gespannt wie es weitergeht. Super geschrieben, Michael. Und es werden sie viele in Julie wiedererkennen. Genial

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