Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 16. Oktober 2011

Eine Bank aus Kinder-Perspektive

Reitender Bote

In der vergangenen Woche hatte ich Besuch, den Besuch schlechthin. Wirbelwind Alina war da. Das ist das Fest schlechthin. Sie mischt den Laden bei uns immer richtig auf. Und sie hat mit ihren acht Jahren auch schon genaue Vorstellungen von dem, was da so abgehen muss. Ihre Eltern führen ein sehr strenges Regime, was Geschenke betrifft. Und doch gelingt es mir ab und zu, dieses Regelwerk zu unterlaufen. Immerhin habe ich erreicht, dass die Kleine über ein eigenes Konto, natürlich von Mama geführt, verfügt. Und so mache ich mir auch immer mal wieder den Spaß, da etwas einzuzahlen. Aber Alina möchte natürlich auch selbst diese komplizierten banktechnischen Vorgänge ausprobieren.
Diesmal hatten wir das Ganze in einen kleinen Flohmarkt verpackt. Alinchen brachte einige Sachen mit, die für ihr jetzt schon sehr fortgeschrittenes Alter schon zu kindisch geworden waren; natürlich mir ausdrücklicher Billigung und Genehmigung von Mama und Papa.
Also bauten wir im Garten aus meinem Tapeziertisch einen kleinen Verkaufsstand auf. Alina verteilte ihre Sachen, Puppen und vor allem kaum noch als solche erkennbare Bücher, gleichmäßig darauf. Natürlich bestand ihre Kundschaft hauptsächlich aus meiner Person. Aber das tat dem Spaß daran keinen Abbruch.
So kamen im Laufe des Nachmittags stolze 15 Euro und 35 Cent zusammen. Alina war, wie gesagt, in materiellen Dingen sehr sparsam erzogen worden; und wollte das Geld sofort auf ihr Konto einzahlen. Nur mit Mühe konnte ich sie schließlich davon überzeugen, dass zu dieser fortgeschrittenen Stunde, die Bankangestellten ihren wohlverdienten Feierabend verlebten.
Am nächsten Morgen zogen wir sofort los. Pünktlich zur Schalteröffnung standen zwei potentielle Großkunden erwartungsvoll vor der Bank mit dem gleichen Zeichen über dem Eingang, wie die, bei der Alina das Konto hatte. Natürlich war es eine andere Filiale in einer anderen Stadt; aber sie sah der zum Verwechseln ähnlich. Auch die darin wuselnden Menschen schienen alle die gleichen Eltern gehabt zu haben.
Am Schalter begrüßte uns eine dauerlächelnde Dame. Oder nein, sie begrüßte eigentlich nur mich. Das kleinere Menschenkind an meiner Seite übersah sie mal geflissentlich. Dabei war es doch gerade sie, um deren Geld es ging.
„Die junge Dame an meiner Seite möchte Geld auf ihr Konto einzahlen.“
„Natürlich, auf dem Tisch liegen Einzahlungsformulare. Die müssen sie nur ausfüllen.“
„Aber da steht doch überall ihre Bankleitzahl drauf. Alina hat ihr Konto bei einer anderen Filiale.“
Die Stirn der Bankangestellten verursachte mehrere Wellenberge.
„Dann zahlen sie das Geld doch einfach dort ein.“
„Das sind gut 250 Km Entfernung, und wir wollten das Geld sofort einzahlen!“
Jetzt kam mit dem gewohnten Dauerlächeln: „Dann überweisen sie es doch einfach.“
Alina verfolgte unseren Dialog mit einer riesigen Portion Unverständnis. Sie wollte einfach nur ihr verdientes Geld einzahlen und konnte überhaupt nicht begreifen, wo da das Problem lag. Jetzt war sie es, die ihre Stirn krauste.
„Sie wollen uns also sagen, dass wir das Geld hier nicht einzahlen können!“
So langsam wurde mein Ton ärgerlicher.
„Doch, aber das kostet eine kleine Gebühr.“ Dieser Satz war ihr sichtlich unangenehm.
„Wie hoch wäre die denn?“
„10 Euro.“
„Was!“ entfuhr es mir. „Das sind ja 2 Drittel der Gesamtsumme!“
„Ja, wir haben mit dem Bargeldverkehr auch einen erhöhten Aufwand.“
Das Lächeln im Gesicht war plötzlich gefroren.
„Welchen denn?“
„Entschuldigen Sie, wollen Sie das Geld nun einzahlen oder nicht. Hinter ihnen bildet sich bereits eine Schlange mit Menschen, die wahrscheinlich genau wissen, was sie hier tun wollen.“
Ich setzte gerade zu einer gepfefferten Antwort an; da zog mich Alina am Arm und vom Schalter weg. Aus den Augenwinkeln sah ich noch, wie sich das Lächeln dem nächsten Kunden zuwendete.
Ich schaute in ein Gesicht, dass mir sagte: „Bitte, bitte, lass uns das Geld einzahlen!“ Jetzt begriff ich, dass es Alina nicht in erster Linie um die Summe sondern um den Vorgang ging.
Schweren Herzens nickte ich und wir stellten uns wieder an der Schlange an. Als wir dann an der Reihe waren, reichte uns die Bankdame wortlos einen Einzahlschein; ich füllte ihn aus und legte das Geld dazu. Als ich dann sofort  zum Ausgang stürmen wollte, hielten mich zwei kleine Mädchenhände sehr bestimmt davon am. Wir blieben mitten im Schalterraum stehen und irgendetwas in mir entschied sich gerade, keinen weiteren Widerstand mehr zu leisten. Alinas Blick hing wie gebannt an dem Ort, wo nach wie vor das eingezahlte Geld zu vermuten war. Nach einigen Augenblicken kam ein junger Mann hinter dem Tresen hervor. In seiner Rechten baumelte ein kleines Täschchen, das mit einer Kette am Armgelenk befestigt war.
Wieder wurde ich am Ärmel gezogen. Diesmal folgte ich allerdings nicht mehr so unwillig. Die ganze Angelegenheit hatte mich neugierig gemacht. Der junge Mann ging durch einen langen Gang und wir zwei folgten ihm mehr oder weniger unauffällig. Wahrscheinlich betraten wir gerade unerlaubtes Terrain oder begingen sogar einen Hausfriedensbruch. Aber im Moment hielt uns niemand davon ab. Am Ende des Ganges war eine Tür. Der Bankenmensch öffnete sie offensichtlich mit Hilfe eines elektronischen Schlosses und sie fiel auch sofort wieder zu. Dieser Augenblick genügte allerdings, einen Schwall Außenluft hinein zu schieben. Und es war wohl wirklich Außenluft. Sie war mit einem Duft vermischt, den man hier wohl am Wenigsten vermuten würde. Es roch schlicht und ergreifend nach Pferdestall. Wir sahen uns verwundert an. Glücklicherweise gab es unmittelbar neben der Tür ein kleines dick verglastes Fenster. Wie durch ein Bullauge schauten dann zwei Augenpaare auf eine bizarre Welt.
In mehreren Boxen nebeneinander standen die wunderbarsten Reitpferde. Sie waren alle frisch gestriegelt und ihr Fell glänzte in der Sonne.
Unser Mann war inzwischen auf eine der Boxen zugegangen und sprach mit einem dort wartenden anderen jungen Typen in Reituniform. Die kleine Tasche wechselte mit Hilfe von mehreren Schlüsseln den Besitzer.
Der Reitersmann legte einem feurigen Araber den Sattel über und befestigte daran noch die Tasche. Schon im nächsten Augenblick schwang er sich mit elegantem Schwung auf den Hengst und sprengte im gestreckten Galopp davon
Alina tippte mich an und nickte. „Kapierst du jetzt?!“
Ja, ich kapierte und im Stillen musste ich der Lächel-Dame Abbitte leisten.
Das war also der erhöhte Aufwand. Mein Gott, dafür waren ja die 10 Euro durchaus angemessen; man könnte sogar sagen ziemlich preiswert.
Die Heimfahrt verlief einer wissenden Stille. Wir waren alle beide um eine große Erfahrung reicher.
Nur in mir geisterte ein Gedanke. Sollte man den Bankleuten vielleicht sagen, dass es mittlerweile solch neumodische Erfindungen wie Computer oder Internet gab?

Andererseits war es natürlich auch wunderbar, wie sehr da an alten Traditionen festgehalten wurde.

Es gab sie also doch, die heile Welt!

1 Kommentar: